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Ursula Engelen-Kefer: „Soziales Grundeinkommen erforderlich“

Armut

Es ist schon eine verkehrte Welt. Bei boomender Wirtschaft und Beschäftigung bleiben Niedriglöhne und Armut bei Arbeit sowie im Alter für ein Fünftel der Menschen in unserem Lande bittere Realität. Millionen Kinder leben unter der Armutsgrenze. Junge Menschen müssen sich auch bei guter Ausbildung von einer befristeten Beschäftigung zur nächsten hangeln. Familien und Alleinerziehende wissen oft nicht, wie sie finanziell über die Runden kommen sollen. Bei übermäßig steigenden Mieten nimmt die Obdachlosigkeit erschreckend zu. Gleichzeitig wachsen Wohlstand und Reichtum bei immer weniger Privilegierten. Kurzum: die Spaltung in der Gesellschaft schreitet vorn.

Kein Wunder, dass die Forderungen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) an Zustimmung in Öffentlichkeit und Bevölkerung gewinnen.  Dabei  könnten die jetzigen Promotoren kaum unterschiedlicher sein. Die Partei Die Linke fordert ein „emanzipatorisches“ BGE für alle – in einer Höhe, die Existenz und gesellschaftliche Teilhabe sichert. Damit wollen sie auch die Regelungen von Hartz IV mit der Bedürftigkeitsprüfung und den Sanktionen außer Kraft setzen.

Mächtige Wirtschaftsbosse – seien es Joe Kaeser von Siemens oder Werner Goetz von DM – machen sich auch für das BGE stark. Allerdings wollen sie ein erheblich niedrigeres BGE und gleichzeitig einen Abbau sozialstaatlicher Leistungen, wie Krankenversicherung oder Kindergeld und natürlich Arbeitslosengeld II. Selbst eingefleischte Neoliberale wie der Ökonom Thomas Straubhaar machen sich für ein pauschales BGE stark, um den bürokratischen Hürden und natürlich Kosten des Sozialstaates zu entkommen.

Auch hier spielen die Hintergedanken des Abbaus der ungeliebten solidarischen Sozialversicherung und sonstiger Sozialleistungen – vor allem der hierbei erfolgenden sozialen Umverteilung – eine entscheidende Rolle. Damit sollen gleichzeitig die Absatz- und Gewinnmöglichkeiten der privaten Finanzbranche als Ausfallbürgen für die abgebauten Solidarsysteme gesteigert werden.  Dies wird dann auch noch als „radikal gerecht“ bezeichnet.

Schon die Unterstützung des BGE aus dem Lager von Wirtschaftspotentaten und neoliberalen Ökonomen ist genug Anlass zur Skepsis und genauen Prüfung sozialer Folgewirkungen des Bedingungslosen Grundeinkommens.

Aber auch für immer mehr Bürgerinnen und Bürger steigt die Attraktivität des BGE. Sie erhoffen sich damit Befreiung von der teilweise überbordenden Bürokratie sozialversicherungsrechtlicher und sonstiger sozialstaatlicher Leistungen, den ständigen Schlachten mit Jobcentern, Sozialämtern, aber auch Trägern der Sozialversicherung. Befördert wird dies noch durch das ständige Schüren der Angst über die Vernichtung von Arbeit und Arbeitsplätzen durch die nächste Stufe der digitalen Revolution mit den Schlagworten von der Industrie oder Arbeit 4.0.

Zunächst einmal ist entscheidend, dass das BGE die solidarische Umverteilung unserer Sozialsysteme auf den Kopf stellt. Es soll nämlich für alle Menschen gleichermaßen gelten, unabhängig von ihrer jeweiligen Einkommenslage. Mithin würden auch Wohlhabende, Millionäre und Milliardäre das BGE erhalten – sozusagen als Zubrot für ein Gourmet-Abendessen. Damit würden Milliardenbeträge für die Mehrheit der Menschen verprasst, die auf jeden Cent der Sozialleistungen angewiesen sind.

Bei 1000 Euro pro Kopf würde das BGE bei konservativer Schätzung etwa 900 Mrd. Euro im Jahr kosten. Dies müsste wieder hereingeholt werden, indem Steuern erhöht und Sozialleistungen gekürzt werden. Das trifft wieder vor allem die mittleren und unteren Einkommensbezieher und würde die Gefahren von Armut eher erhöhen als verringern. Besonders entlarvend sind Vorschläge von Wirtschaftsmagnaten, die eine Finanzierung des BGE über die Umsatzsteuer befürworten. Diese trifft dann wiederum vor allem die sozial Schwächeren und Familien.

Für die Arbeitgeber könnte es keine bessere Lösung geben, als über das BGE eine großangelegte Front zur Einführung des Kombilohnes zu erreichen. Sie werden durch das BGE aus ihrer Verpflichtung entlassen, durch ihre unternehmerische Verantwortung für ein existenzsicherndes Einkommen ihrer Beschäftigten zu sorgen. Dies würde ja durch das BGE gewährleistet und sie bräuchten als Löhne nur den Zusatz über die Existenzsicherung hinaus zu zahlen. Damit würde sich auch der gesamte Mindestlohn erübrigen.

Für die Arbeitnehmer bedeutet dies eine Demotivierung zu eigenen Arbeitsleistungen, da sie hierfür nur geringe zusätzliche Lohn- und Gehaltszahlungen der Arbeitgeber zu erwarten haben. Damit würde gleichzeitig die Rolle der Gewerkschaften und ihrer Tarifpolitik für Lohnsteigerungen und sonstige Arbeitsbedingungen entfallen. Diese Demotivierung aus finanziellen und sonstigen materiellen Gründen würde noch verstärkt durch die Gefährdung der vielfältigen sonstigen Interessen der Menschen, die mit ihrer Arbeit an Entwicklungsperspektiven, Anerkennung, sozialer Einbindung und gesellschaftlicher Teilhabe verbunden sind. Die Vorstellung eines emanzipatorischen BGE, wie im Konzept der Linken, verkehrt sich somit in ihr Gegenteil.

Als Fazit wäre somit festzuhalten: Das bedingungslose Grundeinkommen bedeutet für die Mehrheit der Menschen eher Steine statt Brot. Es zerstört die solidarischen Sicherungssysteme und damit wesentliche Eckpfeiler unseres Sozialstaates. Der Ausbeutung durch private Finanzhaie würde Tür und Tor weit geöffnet. Als bittere Folge würden Armut und gesellschaftliche Spaltung nicht abgebaut werden, sondern weiter zunehmen.

Es ist somit die bessere Alternative zu einem BGE nach Gießkannenprinzip, sich auch weiterhin mit den Schwachstellen der sozialen Sicherungssysteme und sonstigen Sozialleistungen zu befassen. Dabei ist nach politischen Mehrheiten sowie administrativen Möglichkeiten für mehr soziale Gerechtigkeit und Solidarität zu suchen.

*Ursula Engelen-Kefer ist promovierte Volkswirtin. In ihrer langen Karriere war sie unter anderem Vizepräsidentin der Bundesanstalt für Arbeit und stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds. Heute ist sie Honorarprofessorin an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit. Seit 2009 leitet sie den Arbeitskreis Sozialversicherung im SoVD-Bundesverband und ist seit 2015 Mitglied des Bundesvorstands im SoVD.


Kommentare (2)

  • user
    Norbert Berentz
    am 06.07.2019

    ... das BGE ist gut und auch finanzierbar - allerdings als alleinige Maßnahme keineswegs ausreichend, die sich zuspitzenden Probleme auf dem Arbeitsmarkt zu parieren. Was wir brauchen ist gute ARBEIT FÜR ALLE !

    Als alleinige Maßnahme (wie viele es wollen, auch Herr R.D. Precht) wäre das BGE in meinen Augen allerdings eine "Kapitulation der Politik" vor den 'Verhältnissen', vor der rasanten Entwicklung des technologischen Wandels.

    Was Not tut ist 'Klotzen' und nicht weiter 'Kleckern', ist wirkliche 'Beschäftigungspolitik' statt Herumwerkelei mit der sog. 'Arbeitsmarktpolitik', sprich eine Halbierung der Arbeitszeit (en) ist angesagt - sei es täglich, wöchentlich oder die Lebensarbeitszeit betreffend . .. !

    Und dann macht das BGE einen Sinn auch für alle arbeitenden Menschen; es dient dann nämlich auch oder vor allem dem Sozialen Ausgleich der Einkommensverluste bei halbierten Arbeitszeiten, auch im Alter bei verminderter Rente. Das wäre dann mal eine wirkliche REFORM, von der alle Arbeitnehmer und (Früh-) Rentner profitierten, eine echte Steigerung der Lebensqualität.

    Und wer nicht arbeitet soll es natürlich auch bekommen, das BGE (weil der Mensch ein Mensch ist, mit Würde !) ...

    ... Also, nur Mut zum "Klotzen", gekleckert wird nachher (bei der Umsetzung) sowieso, wenn sich an den Mehrheits- und Machtverhältnissen im Lande nichts ändert.

    Und wenn alles so weiterlaufen sollte (pessimistischerweise wie auch bei Richard David PRECHT), ja dann kommt tatsächlich der politische Offenbarungseid mit dem "BGE" (auf Minimal-Niveau) der "finalen" neoliberalen Reform ... andere bzw. weitere "Sozialpolitik" könnt ihr euch danach abschminken - wir haben ja das "BGE" ...

  • user
    Kunstsoldat
    am 08.12.2017

    Die bessere Alternative ist also, weiter nach Schwachstellen im Sozialsystem zu schauen? Der Zug ist abgelaufen. Das hätte schon vor 10 Jahren passieren müssen. Wenn Organisationen wie ihr nicht jetzt konkret ansprecht was genau geändert werden soll, und weiterhin sagt: "Wir müssen erst noch mal schauen", dann fürchte ich werden die Neoliberalen die Oberhand behalten.

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