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Engelen-Kefer: Bundesregierung spart 10 Milliarden Euro auf Kosten der Ärmsten der Armen

Armut

Was bisher vorwiegend in Expertenkreisen gehandelt wurde, mal mehr oder weniger streitig, ist jetzt endlich an eine breitere Öffentlichkeit gelangt. Es geht um die Regelsätze in der Grundsicherung und damit die Existenzgrundlage von Millionen Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben müssen. Sei es in Hartz IV, Alters- und Erwerbsminderungsrenten, mit einer Behinderung oder Pflegebedarf.

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Regelsätze bei „Hartz IV“ werden klein gehalten

Mit den Regelsätzen in der Grundsicherung soll den betroffenen Menschen zumindest ein „sozioökonomisches Existenzminimum“ gewährt werden. Dazu gehören die maßgeblichen Bedarfe des täglichen Lebens von der Ernährung, Bekleidung, Hygiene, Mobilität bis zu Bildung und Kultur. Wie sowohl das Bundessozial- als auch das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach festgestellt haben, muss die Berechnung transparent und nachvollziehbar sein sowie auch die gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen.

Berechnet werden die Regelsätze auf der Basis des sogenannten Statistikmodells. Sie werden vom Statistischen Bundesamt im Auftrag des Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im fünfjährigen Turnus aus der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) ermittelt. Dabei werden Haushalte aus dem unteren sozialen Bereich einbezogen und nach unterschiedlichen Haushaltstypen unterschieden, je nachdem ob es sich um Einzelpersonen handelt oder weitere abhängige Erwachsene und Kinder zu versorgen sind.

Damit wird der Eindruck erweckt, die Regelsätze seien in voller Transparenz berechnet worden. Dies ist allerdings ein Trugschluss zu Lasten von Millionen betroffenen Menschen. Auch der SoVD hat darauf immer wieder Politik und Öffentlichkeit hingewiesen und grundsätzliche Reformen angemahnt.

Hartz 4 wäre pro Monat 25 Euro höher

Nach den gesetzlichen Korrekturen der Regelsätze 2011 auf der Grundlage der EVS 2008 wurden erhebliche willkürliche Abstriche gemacht, die auch bei der nächsten Anpassung an die EVS 2013 im Jahr 2016 weiter verschlechtert wurden. Bereits 2011 wurden an Stelle der unteren 20 Prozent der Haushaltseinkommen nur noch 15 Prozent einbezogen.

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Hinzu kommt der Zirkelschluss, indem Haushalte in der Berechnungsgrundlage blieben, die als verdeckt arme Haushalte gelten. Außerdem die sogenannten Aufstocker, das sind Niedrigstlöhner unterhalb der Armutsgrenze, die zusätzlich zu Einkommen oder Rente Grundsicherung beziehen. Dies führt dazu, dass die Regelsätze pro Monat um zusammen etwa 25 Euro niedriger ausfallen.

Hinzu werden einzelne Lebensbedarfe bei der Berechnung der Regelsätze einfach ausgeklammert, insbesondere für Restaurantbesuche, Mobilität, Gesundheitsleistungen sowie Bildung, Kultur und Freizeit. Experten kommen damit zu dem Ergebnis, dass die Regelsätze von 576 Euro im Monat auf 416 Euro heruntergerechnet wurden. Damit spart die Bundesregierung 10 Mrd. Euro im Jahr zu Lasten der Ärmsten der Armen. Oder im Umkehrschluss: Den Menschen, die in Armut leben müssen, werden somit im Schnitt über 150 Euro im Monat vorenthalten.

Ein weiterer wesentlicher Grund für diese willkürliche Herunterrechnung der Regelsätze sind die Einsparungen des Staates bei den Steuer-Freibeträgen. Da diese sich an den Regelsätzen orientieren, müssten sie ebenfalls erhöht werden – von derzeit 9000 Euro im Schnitt auf 11000 Euro. Damit bedeutet diese willkürliche Herunterrechnung der Regelsätze auch für die Steuerzahler erhebliche zusätzliche Belastungen infolge der zu niedrig angesetzten Steuerfreibeträge. Diese werden auf 15 Mrd. Euro im Jahr berechnet. Die schwarze Haushaltsnull, mit der sich die jetzige und vorherige GroKo brüsten, wird somit auch auf dem Rücken der Menschen ausgetragen, die in Armut leben bzw. der Steuerzahler, die mit niedrigeren Freibeträgen abgespeist werden.

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Die jahrelangen Forderungen des SoVD nach einer grundsätzlichen Reform der Festlegung der Regelsätze  erhalten noch mehr Bedeutung und Gültigkeit: die Heraufsetzung der Bemessungsgrundlage von den unteren 15 Prozent der Haushaltseinkommen auf 20 Prozent sowie die Herausnahme der verdeckt Armen und Aufstocker. Ebenso sind die wilkürlichen Streichungen einzelner Bedarfsbereiche aufzuheben, die vor allem für die gesellschaftliche Teilhabe unerlässlich sind.

Erforderlich sind darüber hinaus kurzfristige Entlastungen der Menschen, die auf Grundsicherung angewiesen sind: insbesondere durch Zuschüsse bei einmaligen Kosten für langlebige Konsumgüter. Dienstleistungen für Gesundheitsversorgung, bei Behinderungen und Pflege. Erhöhung der Leistungen für Mobilität, Bildung sowie vor allem auch für den Schulbedarf der Kinder.

*Ursula Engelen-Kefer ist promovierte Volkswirtin. In ihrer langen Karriere war sie unter anderem Vizepräsidentin der Bundesanstalt für Arbeit und stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds. Heute ist sie Honorarprofessorin an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit. Seit 2009 leitet sie den Arbeitskreis Sozialversicherung im SoVD-Bundesverband und ist seit 2015 Mitglied des Bundesvorstands im SoVD.


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