40 Prozent der Pflegekräfte erwägen, ihren Beruf aufzugeben. Das ist das Ergebnis mehrerer Studien im gesamten Pflegebereich. Der Belastungszustand ist demnach für viele unerträglich geworden. Laut deutschlandweiter Umfrage der Alice Salomon Hochschule Berlin (ASH) gibt dabei vor allem das Verhältnis von Aufwand und Belohnung in Form von Anerkennung, Arbeitsplatzsicherheit und Bezahlung den Ausschlag für den Ausstieg aus dem einstigen Wunschjob.
Zahllose Überstunden und Mehrschichten in knapper Besetzung, hohes Infektionsrisiko – die Corona-Krise hat die Belastungssituation in allen Pflegebereichen auf die Spitze getrieben.
In der Pandemie hätten die Pflegenden den Kollaps verhindert. Trotzdem sei es weder der Politik noch den Arbeitgeber*innen gelungen, dem Bedürfnis des Personals nach mehr Anerkennung und angemessener Bezahlung zu entsprechen, lautet das Fazit der ASH-Studie, in der online 2.700 pflegende Personen aus den Bereichen Klinik, Langzeitpflege und ambulante Pflege befragt wurden.
Pflegekräfte müssen demnach weiterhin einen sehr hohen Aufwand leisten, um eine moderate Belohnung zu bekommen – das Missverhältnis sei offenkundig. Nun sei es dringend notwendig, Belohnungsanreize zu setzen und die Jobbelastungen nachhaltig zu reduzieren. Sonst drohe der Kollaps des Gesundheitssystems.
Spürbarer Personalmangel
Auch einer weiteren aktuellen Studie nach wollen 40 Prozent des Pflegepersonals ihren Beruf aufgeben. In der mit dem Altenpflege-Fachverlag Vincentz Network initiierten Untersuchung wurden 686 Beschäftigte in der stationären Altenpflege befragt.
90 Prozent der Befragten forderten demnach mehr Personal, 73 Prozent meinten, der Personalmangel in der Pflege habe sich in der Corona-Pandemie weiter verschärft. 68 Prozent stellten fest, es werde immer schwerer, eine gute Pflege zu gewährleisten. 96 Prozent glaubten demnach nicht, dass die Politik die Lage verstanden habe und bemüht sei, sie zu verbessern.
Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) forderte fast zeitgleich kurzfristige Reaktionen von der Bundesregierung. Viele Kliniken seien am Limit. Die Rede war von ausgebranntem Personal, wirtschaftlichen Sorgen und zu viel Bürokratie. Es gelte, die Kliniken mit grundlegenden Reformen finanziell zu sichern und die Arbeitsbelastung der Mitarbeiter*innen zu reduzieren, so die DKG.
SoVD fordert seit Langem eine echte Pflegereform
Seit Langem fordert auch der SoVD eine echte Pflegereform. Bereits vor der Regierungsbildung mahnte er erneut, endlich die notwendigen und überfälligen Schritte für ein gerechtes und leistungsfähiges Pflegesystem in Deutschland zu gehen.
Mit der Einführung der Pflegepersonalregelung (PPR) 2.0 als Übergangsinstrument zur verbindlichen Personalbemessung will die Bundesregierung der dramatischen Situation in den Krankenhäusern begegnen. Die Koalitionäre wollen den Ausbau der Personalbemessungsverfahren in der stationären Langzeitpflege beschleunigen. Und insbesondere in Bezug auf die Löhne und Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte will man endlich Taten sprechen lassen.
Gehaltslücke soll geschlossen werden
Eines der ersten Vorhaben sollte es dabei sein, die Gehaltslücke zwischen Kranken- und Altenpflege zu schließen – doch leider fehlen im Koalitionsvertrag nun Ausführungen zu einem bundesweit flächendeckenden Tarifvertrag in der Altenpflege. Fest verankert sind hingegen folgende Verbesserungsmaßnahmen: Zuschläge sollen künftig steuerbefreit sein. Geteilte Dienste werden abgeschafft.
Vorgesehen sind zudem die Einführung trägereigener „Springer*innenpools“ sowie eines Anspruchs auf familienfreundliche Arbeitszeiten für Menschen mit betreuungspflichtigen Kindern. Heilkundliche Tätigkeiten sollen die professionelle Pflege ergänzen. Auch will man mehr ausländische Fachkräfte gewinnen und die Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsabschlüssen beschleunigen. Gestärkt werden soll auch die Beteiligung der Pflege in verschiedenen Gremien der Selbstverwaltung.
Personalrichtwerte an realem Bedarf orientieren
Der SoVD sieht im Koalitionsvertrag einige gute Tendenzen, etwa im Hinblick auf eine sektorenübergreifende Gesundheitsversorgung.
So begrüßt der Verband die Einführung der PPR 2.0 als Übergangsinstrument zur verbindlichen Personalbemessung in Krankenhäusern.
Zugleich müssten aus SoVD-Sicht jedoch schnellstmöglich bundesweit Personalrichtwerte anhand eines am tatsächlichen Pflegebedarf orientierten, wissenschaftlich fundierten Personalbemessungssystems für stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen her. „Die derzeitigen Pflegepersonaluntergrenzen bergen als ‚gerade noch‘ zulässige Personalbesetzung die Gefahr, dass die Untergrenze zur Regel gemacht wird“, warnt SoVD-Präsident Adolf Bauer.
Der SoVD unterstützt zudem die Bemühungen um eine angemessene Bezahlung der beruflich Pflegenden. Er fordert ausdrücklich auch Maßnahmen, die die Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche verbessern.
Aus SoVD-Sicht müssen zuallererst die Bedingungen für die Pflegeberufe selbst verbessert werden. Hierzu gehören attraktive Arbeitszeitmodelle und Aufstiegschancen ebenso wie bessere Studien- und Fortbildungsangebote. Auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist unerlässlich. Die Pflegeausbildung muss künftig quantitativ wie qualitativ den Erfordernissen einer hochwertigen Pflege und dem absehbar steigenden Pflegebedarf gerecht werden.
SoVD: Häusliche Pflege nicht weiter außer Acht lassen
Mit großer Sorge beobachtet der SoVD hingegen, dass in der öffentlichen Debatte insbesondere die häusliche Pflege immer noch zu kurz kommt. Denn rund 4 von 5 der mittlerweile über 4,5 Millionen Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt. Bei über 60 Prozent sind es allein Angehörige, die sie ohne professionelle Unterstützung pflegen.
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