Die statistisch belegten Zahlen der Gewalt gegen Frauen sind hoch. Noch höher allerdings dürfte die Dunkelziffer sein. Denn nur etwa jede dritte Betroffene wendet sich selbst in schwersten Fällen überhaupt an die Polizei. Eine geschützte Unterkunft bieten Frauenhäuser an. Doch dort gibt es viel zu wenige Plätze. Über die Finanzierung dieser Zufluchtsorte streiten Bund, Länder und Kommunen.
Niemand, der in diesem Land politische Verantwortung trägt, kann behaupten, davon nichts gewusst zu haben. Denn bereits seit fünf Jahren gelten die Vorgaben der Istanbul-Konvention als bundesweites Recht. Hinter dieser Bezeichnung steckt ein Übereinkommen des Europarates zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und von häuslicher Gewalt, das mehrere Staaten in der türkischen Metropole unterzeichneten.
Die Konvention sieht unter anderem eine Beratung und Betreuung Betroffener sowie deren Unterbringung vor. Hierfür müsste Deutschland eigentlich rund 21.500 Plätze in Frauenhäusern bereitstellen, Frauen und Kinder zusammengerechnet. Tatsächlich aber existiert nicht einmal ein Drittel dieser Vorgabe.
Hilfsangebote gleichen einem Flickenteppich
Zuständig für die Planung und Finanzierung von Frauenhäusern sind die jeweiligen Kommunen und Länder. Und genau das führt in der Praxis offensichtlich zu einem heillosen Durcheinander. Denn die Arbeitsgrundlage der Einrichtungen ist je nach Bundesland ganz unterschiedlich oder auch gar nicht geregelt.
Anlaufstellen und Unterkünfte für Gewaltbetroffene fehlen vor allem auf dem Land. Doch auch sonst gilt, dass ein frei werdender Platz im Frauenhaus meist schon nach wenigen Stunden wieder belegt ist. Der Bedarf nimmt wohl auch deshalb zu, weil Frauen zunehmend besser über ihre Rechte informiert sind und sich zur Wehr setzen.
Verbesserungen nicht auf die lange Bank schieben
Die Frauen fliehen vor ihrem Ehemann, Partner oder Ex-Freund. Nicht selten bringen sie ihre Kinder mit, die dann ebenfalls untergebracht und betreut werden müssen. Hierfür braucht es wiederum zusätzliche Fachkräfte, was über den bestehenden Mangel an Wohnplätzen hinaus weitere Probleme schafft.
Das weiß auch die Bundesregierung. Im Koalitionsvertrag zumindest steht, der Bund solle in die Finanzierung der Frauenhäuser einsteigen und einen einheitlichen Rechtsrahmen schaffen. Wenn die Koalition allerdings wirklich etwas an der zunehmenden Gewalt gegen Frauen ändern will, dann sollte sie sich mit den Ländern und Kommunen so schnell wie möglich einigen.
Interview: „Der Staat bietet keinen adäquaten Schutz“
Die Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser setzt sich seit Langem dafür ein, die Situation von gewaltbetroffenen Frauen zu verbessern. Wir sprachen mit der Mitarbeiterin Britta Schlichting, die selbst in einem Frauenhaus tätig ist.
___Was wissen wir über das Thema Gewalt gegen Frauen? Oder anders herum gefragt: Was wissen wir nicht?
Entgegen vieler Klischees kommt Gewalt unabhängig von Bildung, Einkommen oder auch Religion leider in allen gesellschaftlichen Schichten vor. Was wir nicht haben, sind aktuelle Zahlen. Bei der letzten bundesweiten Studie vor knapp zwanzig Jahren kam heraus, dass jede vierte Frau in ihrem Leben von häuslicher Gewalt betroffen ist.
___Dabei reden wir doch nicht zuletzt auch von Machtverhältnissen und Abhängigkeiten in Beziehungen, oder?
Sie haben völlig recht. Gewalt äußert sich nicht allein körperlich, sondern eben auch psychisch. Das geht von Erniedrigungen und Beschimpfungen bis hin zur Kontrolle von Kontakten. Spätestens, wenn Kinder da sind, spielen finanzielle Abhängigkeiten eine entscheidende Rolle. Denn eine bezahlbare Wohnung findet man heute nicht so schnell.
___Gibt es nicht gerade für diese Notfälle die Frauenhäuser?
Ganz so einfach ist das leider nicht. Aktuell fehlen uns rund 15.000 Plätze. Man muss es leider so sagen: Der Staat ist nicht in der Lage, Frauen und Kinder, die Gewalt erfahren, adäquat zu schützen. Genau das ist aber mit der Istanbul-Konvention geltendes Recht.
___Die steigende Zahl der registrierten Fälle ist erschreckend. Oder zeigt diese vielleicht auch ein wachsendes Bewusstsein?
Frauenhäuser gibt es seit rund 40 Jahren. In dieser Zeit ist das Thema Gewalt gegen Frauen immer weiter aus der Tabuzone herausgekommen. Da wurde früher ja noch ganz anders drüber gesprochen. Seitdem werden Betroffene ermutigt, sich nicht mit ihrem Schicksal abzufinden. Aber diese Frauen treffen jetzt eben auf ein chronisch unterfinanziertes System mit zu wenig Beratung, zu wenig Unterstützung und zu wenig Schutz. Anspruch und Wirklichkeit klaffen immer mehr auseinander. Das ist eigentlich paradox.
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