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SoVD und VdK klagen für höhere Grundsicherung

Aktuelles Armut

Angesichts steigender Preise garantiert die Grundsicherung nicht mehr das Existenzminimum. Die Sozialverbände kämpfen für angepasste Regelsätze.

Zwei Frauen stehen nebeneinander.
SoVD-Vizepräsidentin Ursula Engelen-Kefer und VdK-Präsidentin Verena Bentele im gemeinsamen Statement.

Die steigenden Preise in den letzten Monaten sind für alle Menschen spürbar. Ob beim Einkauf, beim Tanken oder auch die Heizung für die Wohnung:  Das tägliche Leben ist deutlich teurer geworden.

Große Löcher in der Haushaltskasse zu stopfen, fällt dabei insbesondere denjenigen schwer, die Grundsicherung zu beziehen und damit am Existenzminimum leben. Das betrifft in Deutschland etwa sieben Millionen Menschen, die Grundsicherung im Alter und Hartz IV erhalten.

Denn die Anpassung der Regelsätze Anfang des Jahres lag bei lediglich 3 Euro für Erwachsene und gerade einmal zwei Euro für Kinder.

Hartz-IV-Anpassung fiel zu gering aus

Schon damals war allen klar, dass diese Anpassung die tatsächliche Preisentwicklung nicht deckt. Deshalb ist nun Eile geboten. Denn inzwischen sind die Kosten für fast alle Produkte des täglichen Lebens aber auch für Energie derart gestiegen, dass das Existenzminimum mit den Regelsätzen nicht mehr gesichert ist.

Zusätzlich gibt es Einmalzahlungen sowie monatlich 20 Euro mehr für Kinder in Grundsicherung. Doch diese verpuffen angesichts steigender Kosten.

Verbände gehen bis zum Bundesverfassungsgericht

Für die Sozialverbände SoVD und VdK ist klar: Dabei darf es nicht bleiben. Um höhere, den tatsächlichen Lebenshaltungskosten angepasste Regelsätze zu erreichen, wollen die Verbände in Musterstreitverfahren bis vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ziehen.

Sie berufen sich dabei auf zwei Urteile aus den Jahren 2010 und 2014. Dort heißt es unter anderem:

„Ist eine existenzgefährdende Unterdeckung durch unvermittelt auftretende, extreme Preissteigerungen nicht auszuschließen, darf der Gesetzgeber dabei nicht auf die reguläre Fortschreibung der Regelbedarfsstufen warten.“
(BVerfG 23.7.2014 – 1 BvL 10/12 ua, Rn. 144).


Das aber, so die beiden Sozialverbände, habe die Bundesregierung getan, als sie die Regelsätze für die Grundsicherung im Alter und Hartz IV Anfang des Jahres um nur 0,76 Prozent angehoben hat. Zu dieser Zeit stieg die Inflationsrate bereits seit Monaten und lag damals bei knapp fünf Prozent. Inzwischen ist sie auf fast acht Prozent (7,6 Prozent im Juni) gestiegen.

Videostatement von Ursula Engelen-Kefer und Verena Bentele

SoVD-Vizepräsidentin Ursula Engelen-Kefer und VdK-Präsidentin Verena Bentele erklären in einem Video Hintergründe und Ziele der gemeinsamen Klagen. 

FAQ zu den Musterstreitverfahren von SoVD und VdK zur Regelsatzfortschreibung nach dem SGB XII

Gegenstand der Musterverfahren ist die Berechnungsgrundlage für die Fortschreibung der Regelsätze gemäß § 28a SGB XII.

Die Regelsätze bestimmen die Höhe der Grundsicherung nach SGB II und SGB XII. Sie betreffen daher die monatliche Leistungshöhe von Hartz-IV-Beziehenden, sogenannten Aufstocker*innen und Leistungsbeziehenden der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.

Insgesamt geht es um sieben Millionen Menschen, die im Leistungsbezug sind und die von einer erfolgreichen Klage profitieren könnten.

Da die Regelsätze nur alle fünf Jahre neu berechnet werden, ermittelt der sogenannte Mischindex jährlich (zum 1. Januar) eine finanzielle Anpassung der Regelbedarfssätze, um Kaufkraftverluste zu verhindern. Das ist die sogenannte Regelsatzfortschreibung. Der Mischindex setzt sich zu 70 Prozent aus der Preisentwicklung regelbedarfsrelevanter Güter und Dienstleistungen und zu 30 Prozent aus der Entwicklung der Nettolöhne und -gehälter zusammen.

Die Regelsatzfortschreibung soll dazu führen, dass sich Leistungsbeziehende für das zur Verfügung stehende Geld genauso viel leisten können wie im Jahr zuvor. Dass die Berechnungsmethode nicht alle tatsächlichen Gegebenheiten einbezieht und nicht geeignet ist, ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern, wird dieses Jahr (2022) besonders deutlich: Aufgrund der coronabedingten Senkung der Mehrwertsteuer im Sommer letzten Jahres hatten sich die Kosten für Güter des täglichen Bedarfes in dieser Zeitspanne kaum erhöht, was dazu führte, dass sich die Regelsätze kaum änderten.

Tatsächlich ist es jetzt aber so, dass aufgrund der andauernden Corona-Pandemie und des Krieges in der Ukraine die Preise seit 2021 stark gestiegen sind. Die Erhöhung der Regelsätze von drei Euro für alleinstehende Erwachsene und zwei Euro für Kinder fing die Preissteigerung nicht annähernd auf.

Das Bundesverfassungsgericht hat zudem mit Beschluss vom 23. Juli 2014 zu den Regelsätzen ausgeführt, dass auf Änderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wie auf Preissteigerungen oder auf die Erhöhung von Verbrauchsteuern zeitnah reagiert werden müsse, um sicherzustellen, dass der aktuelle Bedarf gedeckt wird: „Ist eine existenzgefährdende Unterdeckung durch unvermittelt auftretende, extreme Preissteigerungen nicht auszuschließen, darf der Gesetzgeber dabei nicht auf die reguläre Fortschreibung der Regelbedarfsstufen warten“, stellte das Gericht fest (BeckRS 2014, 55837 ◊ BVerfGE Band 137, 34 ◊ LSK 2014, 460284 (Ls.)).

Die Länge des Verfahrens ist leider nicht abzusehen. Das hängt davon ab, ob gegebenenfalls ein Gericht einen Vorlagebeschluss verfasst (d.h.: Wenn ein Gericht bzw. ein*e Richter*in denkt, dass die Regelung verfassungswidrig ist, wird die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Norm zur Entscheidung dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt, da lediglich das Bundesverfassungsgericht die Kompetenz hat, ein Gesetz als verfassungswidrig zu verwerfen.) oder ob sich der SoVD und der VdK durch alle Instanzen hindurchklagen müssen. Aktuell suchen die Verbände auch noch Kläger*innen für die Musterverfahren.

SoVD-Mitglieder können sich mit ihrem konkreten Fall den Musterverfahren anschließen. Dazu wenden sich diese an die Rechtsberatungsstellen ihres jeweils zuständigen Landesverbandes: https://www.sovd.de/sozialverband/organisation/landes-und-kreisverbaende

Wichtig: Voraussetzung ist eine SoVD-Mitgliedschaft! Entsprechendes gilt für VdK-Mitglieder für ihren Verband.

Die Erfolgsaussichten sind wie bei allen Verfahren, bei denen es bisher keine höchstrichterliche Entscheidung gibt, nur schwerlich einzuschätzen; allerdings geht der SoVD aufgrund der zum Existenzminimum ergangenen Rechtsprechung durch das Bundesverfassungsgericht nicht davon aus, dass ein Erfolg in Gänze abwegig ist.

Grund dafür sind die oben genannten Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts. Durch die Entwicklungen, vor allem auch in der jüngsten Zeit, sieht der SoVD dieses Existenzminimum als gefährdet an.

Die Frage, ob die Regelsätze das Existenzminimum abdecken, ist politisch sehr umstritten. Nicht alle Parteien teilen die SoVD-Einschätzung, dass dem nicht so ist. Auch wenn die Regelsatzfortschreibung nur einen Teil des Problems aufgreift, ist eine höchstrichterliche Klärung notwendig, hinter der sich die Politik dann nicht verstecken kann.

Außerdem sieht die Vereinbarung im Koalitionsvertrag zum Bürgergeld nichts zur Höhe der Regelsätze und zum Fortschreibungsmechanismus vor.

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