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Stellungnahme Änderung des Behandlungsvertragsrechts

Gesundheit

SoVD-Stellungnahme anlässlich der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am 10. November 2025 zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Verbrauchervertrags und des Versicherungsvertragsrechts sowie zur Änderung des Behandlungsvertragsrechts

1 Vorbemerkung 

Der Sozialverband Deutschland e.V. (SoVD) vertritt die Interessen seiner deutschlandweit über 560.000 Mitglieder in sozialen und sozialrechtlichen Angelegenheiten. Zugleich nimmt er für den Deutschen Behindertenrat (DBR) als eine der auf Bundesebene für die Wahrnehmung der Interessen der Patient*innen und der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen maßgeblichen Organisationen nach § 140f SGB V in den Gremien der deutschen Selbstverwaltung die Aufgabe der Patientenbeteiligung wahr, allem voran im Gemeinsamen Bundesausschuss. 

Vor diesem Hintergrund konzentriert sich die Stellungnahme des SoVD als Patientenorganisation auf die Änderung des Behandlungsvertragsrechts

2 Zusammenfassung der Änderung des Behandlungsvertragsrechts 

Um den Anspruch auf Einsicht in die Patientenakte gemäß § 630g BGB und den datenschutzrechtlichen Anspruch auf Erhalt einer Kopie der Daten nach Artikel 15 Absatz 3 der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) miteinander in Einklang zu bringen, soll § 630g BGB angepasst und übersichtlicher gestaltet werden. Mit der Neuregelung soll die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 26. Oktober 2023 Berücksichtigung finden, der zufolge Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Unentgeltlichkeit der ersten Kopie keine Abweichungen im nationalen Recht vorsehen dürfen (Urteil vom 26. Oktober 2023, Az. C307/22). Es wird klargestellt, dass die Unentgeltlichkeit der ersten Kopie sich auch auf den Anspruch nach § 630g Absatz 1 BGB erstreckt und insofern den gleichen Voraussetzungen unterliegt wie der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch nach der DSGVO. 

Weiter soll künftig zur Vermeidung von Verwechslungen mit der elektronischen Patientenakte gemäß den §§ 341 ff. SGB V die Bezeichnung „Behandlungsakte“ verwendet werden. 

3 SoVD-Bewertung der Änderungen des Behandlungsvertrags 

Die Überführung der Entscheidung des EuGH vom 26. Oktober 2023 und in der Folge eine Anpassung der nationalen Regelungen des Behandlungsvertragsrechts an die Datenschutzregelungen der Verordnung (EU) 2016/679 vom 27. April 2016 (DatenschutzGrundverordnung – DSGVO) sind rechtlich überfällig und wegen ihrer zentralen Rolle im Behandlungsverhältnis erforderlich. Das nationale Recht sieht in § 630g Abs. 2 BGB a.F. bislang im Rahmen des Rechts auf Einsichtnahme der Patient*innen in die Patientenakte eine Vergütung für die erste Kopie vor. Dies steht im Widerspruch zum europäischen Recht in Artikel 12 Abs. 3 und 5 und Artikel 15 Abs. 3 DSGVO. Danach besteht insbesondere im Rahmen des datenschutzrechtlichen Auskunftsrechts ein Anspruch der Betroffenen auf eine kostenlose Erstkopie. Der EuGH hat in seiner Entscheidung bestätigt, dass Patient*innen gemäß Art. 15 Abs. 3 DSGVO ein Recht auf eine kostenlose erste Kopie ihrer Patientenakte haben, und festgestellt, dass Mitgliedstaaten im Hinblick auf diese Unentgeltlichkeit keine Abweichungen im nationalen Recht vorsehen dürfen. Die Anpassung ist daher rechtlich geboten, um der unmittelbaren Wirkung der EUVerordnungen und der EuGHRechtsprechung zu entsprechen. Ohne diese Anpassung würde das nationale Recht im Widerspruch zum europäischen Recht stehen und die Rechtseinheitlichkeit gefährden. Vor allem aber ist die Überführung in nationales Recht dringend erforderlich, um die Rechtssicherheit im Behandlungsvertragsverhältnis zu verbessern, den Zugang der Patient*innen zu ihren Gesundheitsdaten zu erleichtern und deren informationelle Selbstbestimmung zu gewährleisten. 

Bislang ist nach § 630g Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. den Patient*innen „auf Verlangen unverzüglich Einsicht in die vollständige, sie betreffende Patientenakte zu gewähren“. Der aktuelle Gesetzentwurf sieht jedoch vor, auf den zentralen Begriff der „Vollständigkeit“ zu verzichten und stattdessen auf die Regelungen der DSGVO zu verweisen. Zudem soll das Einsichtsrecht künftig nicht mehr die vollständige, sondern lediglich die gesamte Patientenakte betreffen – ein scheinbar geringer, tatsächlich aber erheblicher Unterschied. 

Der Begriff „unverzüglich“ in § 630g Abs. 1 Satz 1 BGB ist für das Verständnis des Einsichtsrechts von erheblicher Bedeutung, weil er unmittelbar in der Norm verdeutlicht, dass Patient*innen ihr Recht ohne schuldhaftes Zögern, also zeitnah, geltend machen können. Diese Formulierung ist auch für juristische Laien – vor allem für Patient*innen und Leistungserbringende als Normadressaten – verständlich und sorgt damit für Rechtssicherheit. Die Einsicht darf nicht beliebig verzögert werden, sondern ist so bald wie organisatorisch möglich zu gewähren. Diese Klarstellung schützt Patient*innen vor einer willkürlichen Hinauszögerung der Informationsbereitstellung und ist damit für ihre Informations- und Entscheidungsfreiheit von grundlegender Bedeutung. 

Eine Ersetzung des Begriffs „vollständig“ durch „gesamte Behandlungsakte“ in § 630g Abs. 1 Satz 1 BGB n.F. wäre besonders problematisch, nachteilig und nicht sachgerecht. Der Begriff „vollständig“ stellt klar, dass sich der Einsichtsanspruch auf alle tatsächlich vorhandenen und behandlungsrelevanten Informationen bezieht – unabhängig von deren Form, Speicherort oder Dokumentationsmedium. Er verpflichtet die Behandelnden, die Behandlungsakte lückenlos und inhaltlich umfassend offenzulegen, und verhindert damit eine selektive oder verkürzte Herausgabe. Dagegen würde die Formulierung „gesamte Behandlungsakte“ den Anspruch auf den formalen Aktenbestand beschränken, wie er von der jeweiligen Einrichtung geführt wird. Dies eröffnet Interpretationsspielräume und birgt die Gefahr, dass Teilunterlagen, externe Befunde oder digitale Zusatzdokumente unberücksichtigt bleiben, obwohl sie für die Patient*innen von wesentlicher Bedeutung sind. Eine solche Änderung würde den Schutzzweck des § 630g BGB – nämlich Transparenz, Selbstbestimmung und die effektive Wahrnehmung von Patientenrechten – erheblich beeinträchtigen. Der Begriff der Vollständigkeit ist daher unverzichtbar, um sicherzustellen, dass Patient*innen einen umfassenden und unverfälschten Einblick in ihre Behandlung erhalten. Beide Begriffe gewährleisten nicht nur Transparenz, Rechtssicherheit und Klarheit im Behandlungsverhältnis, sondern sind auch für die Wahrnehmung weiterer Rechte, wie etwa die Einholung einer Zweitmeinung, von zentraler Bedeutung. Damit tragen sie insgesamt zu einem vertrauensvollen ArztPatientVerhältnis bei. 

Die Änderung der Bezeichnung der Patient*innen im Behandlungsverhältnis betreffenden Unterlagen von „Patientenakte“ in „Behandlungsakte“ zur Vermeidung von Verwechslungen mit der elektronischen Patientenakte gemäß den §§ 341 ff. SGB V ist nachvollziehbar. 

4 Weiterer Änderungsbedarf zu § 630g BGB n.F. 

Der SoVD sieht weiteren, notwendigen Änderungsbedarf im Rahmen der Neuregelung des § 630g BGB n.F. 

DSGVO-Fristregelung in nationales Recht inkorporieren 

Im nationalen Recht sollte nicht auf eine Fristregelung für die Einsichtnahme in die Behandlungsakte und die Bereitstellung von Abschriften verzichtet werden. Die bisherige Regelung des § 630g Abs. 1 BGB a.F. sieht als Frist „unverzüglich“ vor. Nach Artikel 12 Abs. 3 DSGVO hat der Verantwortliche der betroffenen Person die beantragten Informationen „unverzüglich, in jedem Fall aber innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags zur Verfügung“ zu stellen. Der bloße Verweis in § 630g Abs. 1 Satz 5 BGB n.F. auf Art. 12 Abs. 3 DSGVO bleibt aus Rechtssicherheitsund Transparenzgründen unzureichend. Bei den Normadressaten – Patient*innen und Leistungserbringenden – handelt es sich in der Regel um juristische Laien, die mit der juristischen Verweisungstechnik und verweisungsspezifischer Auslegung nicht vertraut sind. Eine direkte Integration der Fristregelung aus Artikel 12 Abs. 3 DSGVO in den neuen § 630g Abs. 1 BGB würde dagegen den Zugang zu Gesundheitsdaten für Patient*innen auch in zeitlicher Hinsicht noch transparenter und verständlicher im nationalen Recht gestalten. Das würde die Rechtssicherheit erhöhen, wenn die Fristregelung unmittelbar und ohne Verweise auf EURecht in der nationalen Gesetzgebung verankert wäre. 

Eine solche Normenkonkretisierung ist geboten, denn sie wäre ein Schritt hin zu einer klareren und einfacheren Rechtsanwendung, was die Umsetzung der Datenschutzrechte für alle Beteiligten deutlich erleichtert. Schließlich ist der Begriff „unverzüglich“ in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB legaldefiniert und auch für juristische Laien eine wichtige, nachvollziehbare, zeitliche Orientierung. Das verbessert das Verständnis des Anspruchs im nationalen Recht und die praktische Umsetzung der Auskunftspflicht. 

Akteneinsicht umfassender ausgestalten 

Der behandlungsvertragliche Anspruch auf Einsichtnahme in die Behandlungsakte und das Recht auf den Erhalt einer Abschrift der Behandlungsakte sollten umfassender ausgestaltet werden. Er sollte sich nicht nur auf den in Papierform oder elektronisch aktenmäßig erfassten Inhalt der individuellen Behandlungsakte beschränken. Das verkürzt die Beweisposition der Patient*innen erheblich. Stattdessen sollte sich der Anspruch auch auf Unterlagen und Dokumentationen erstrecken, bei denen ein Zusammenhang mit der Behandlung der Patientin bzw. des Patienten besteht oder bestehen kann. Das betrifft etwa Protokolle der Hygienekommission bei Verdacht auf nosokomiale Infektionen (umgangssprachlich Krankenhausinfektionen oder Krankenhauskeime), die Patient*innen während eines Aufenthalts in einer medizinischen Einrichtung wie einem Krankenhaus erwerben können. 

Weiter sollte das Einsichtsrecht auch die Metadaten elektronisch geführter Behandlungsakten umfassen, um vor allem Zugriffsrechte und etwaige Änderungen an den Dokumenten einsehen und nachvollziehen zu können. Bei einem entsprechend berechtigten Interesse der Betroffenen muss sich das Einsichtsrecht auch auf weitere Unterlagen und Aufzeichnungen erstrecken, wie Hygienepläne oder Aufzeichnungen über den Nachweis der Funktionsprüfung von medizinischen Geräten (Medizinproduktebücher), hinsichtlich derer ein Zusammenhang mit der Behandlung besteht oder bestehen kann. 

Bestätigungspflicht für die Vollständigkeit und Verjährungsfristbeginn 

In aller Regel sind Patient*innen medizinische Laien und nach Kenntnis der vollständigen Behandlungsakte einschließlich der sonstigen behandlungserheblichen Unterlagen und Dokumentationen nicht in der Lage, die Behandlungsabläufe vollumfänglich nachzuvollziehen. Für eine umfassende Bewertung der weiteren in Betracht kommenden medizinischen oder juristischen Schritte ist das aber unerlässlich. Eine Klageerhebung auf Grundlage einer unvollständigen Behandlungsdokumentation ist Patient*innen nicht zuzumuten. Vor diesem Hintergrund sollten die Behandelnden verpflichtet werden, die Vollständigkeit der zur Verfügung gestellten bzw. übermittelten Abschriften zu bestätigen. 

Ebenfalls mit Blick auf die prozessuale Chancengleichheit sollte hinsichtlich der Verjährung der möglichen Schadensersatzansprüche rechtssicher ausgestaltet werden, dass der Lauf der Verjährungsfrist frühestens ab dem Zeitpunkt beginnt, zu dem die gesamte Behandlungsakte im vorgenannten umfassenden Sinn von den Berechtigten eingesehen werden konnte. 

5 Weiterer gesetzgeberischer Handlungsbedarf

Das Patientenrechtegesetz von 2013 war ein Meilenstein auf dem Weg zur Verbesserung der Patientenrechte. Erstmals wurden die Rechte und Pflichten aus dem Behandlungsverhältnis auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Nach wie vor gibt es aber Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der sanktionslosen Patientenrechte und bei der Aufklärung des Behandlungsgeschehens – zum erheblichen Nachteil der Patient*innen. Besonders im Arzthaftungsprozess sind Patient*innen im Verhältnis zum Behandlungserbringer aus mehreren Gründen in einer unterlegenen Position: Ihnen fehlt in der Regel das Fach und Sachwissen. Sie haben meist Unkenntnis über die konkreten Umstände und den tatsächlichen Verlauf des Behandlungsgeschehens. Hinzu kommen spezifische Beweisprobleme und eine strukturelle Beweisnot infolge der damaligen Ausgestaltung des Behandlungsvertrages. Die Erfahrungen der letzten zwölf Jahre machen den gesetzgeberischen Handlungsbedarf deutlich. Die Anpassung des Behandlungsvertragsrechts an die Entscheidung des EuGH und an die Regelungen der DSGVO sollte zum Anlass genommen werden, die Rechte und Pflichten im Behandlungsverhältnis weiterzuentwickeln und zu stärken.

Ein Rechtsgutachten von Prof. Dr. iur. Thomas Gutmann, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Rechtsphilosophie und Medizinrecht an der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster, im Auftrag des SoVD, zeigt notwendigen Weiterentwicklungsbedarf und konkrete Handlungsempfehlungen zur Stärkung und Weiterentwicklung auf. Danach sollte der Gesetzgeber zuvorderst die Geltung der allgemeinen Prinzipien des vertraglichen Haftungsrechts für die Haftung im Rahmen des Behandlungsvertrags wiederherstellen. Er sollte zu diesem Zweck anordnen, dass der Patient bzw. die Patientin nur die Pflichtverletzung des Behandelnden

– die nach dem Standard des ¨ 630a Abs. 2 BGB fehlerhafte Behandlung – nach Maßgabe des ¨ 286 ZPO nachzuweisen hat und dass hinsichtlich der Kausalität zwischen dem Behandlungsfehler und dem Eintritt sowie der Höhe des Schadens ¨ 287 ZPO anzuwenden ist. Den Gerichten soll es jedenfalls möglich sein, den Anspruch bereits dann anzuerkennen, wenn die haftungsbegründende Kausalität nur überwiegend wahrscheinlich ist – der „Normalfall“ für eine vertragliche Haftung. Eine Stärkung der Patientenrechte ermöglicht nicht nur eine prozessuale Chancengleichheit. Sie verbessert die Versorgungsqualität und stärkt letztlich auch das Ärzt*innenPatient*innenVerhältnis.

Berlin, 6. November 2025

DER VORSTAND
Abteilung Sozialpolitik


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