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Bewerbungsrede von Alfred Bornhalm auf dem Landesverbandstag in Kiel

Pressemeldung

Liebe Delegierte, liebe Mitstreiter*innen, liebe Freund*innen, dass ich in diesem Augenblick hier stehen, zu Ihnen und zu Euch sprechen und um die Stimme für das Amt des Landesvorsitzenden werben darf, bewegt mich sehr. Die Vorstellung, nach einer Zustimmung durch die Delegierten des Landesverbandstages an der Spitze eines so erfolgreichen und zugleich so solide aufgestellten Verbandes stehen zu dürfen, macht mich sehr stolz! Es handelt sich schließlich nicht um eine Aufgabe in irgendeinem Verband.

Es geht vielmehr um das Führungsamt in der ganz großen SoVD-Gemeinschaft! Keine andere in Schleswig-Holstein ist so nah, so unmittelbar und so fest dort verankert und beheimatet, wo die Menschen wirklich sind, wo sie leben und wo sie wirken – mittendrin! Der SoVD in unserem Land bezeichnet sich zurecht als größte Familie des Nordens. Ich fühle mich mit ihr heimatlich sehr verbunden. Liebe Freund*innen, ein paar biografische Informationen zu meiner Person gehören zu einer Vorstellung dazu: Ich lebe in Kiel, bin 69 Jahre alt, verheiratet und habe zwei Kinder sowie vier Enkelkinder - und, wenn alles gut geht, dann sind es Ende des Jahres sechs Enkelkinder. Nach einer Ausbildung im Elektrohandwerk habe ich auf dem zweiten Bildungsweg Soziale Arbeit an der Fachhochschule in Kiel studiert. Im Anschluss war ich 35 Jahre bei der Landeshauptstadt Kiel beschäftigt - unter anderem 26 Jahre als Leiter des Amtes für Familie und Soziales sowie zwei Jahre als Leiter des Oberbürgermeisterbüros.

Seit meinem Renteneintritt vor sechs Jahren engagiere ich mich ehrenamtlich im SoVD. Ich habe den Verband und seine Mitglieder in dieser Zeit sehr schätzen gelernt! Durch meine Arbeit als Kreisvorsitzender in Kiel, als Vorsitzender des Sozialpolitischen Ausschusses sowie seit letztem Jahr als Mitglied des Bundesvorstandes konnte ich in den vergangenen Jahren Erfahrungen auf allen Ebenen des SoVD sammeln und eigene Erfahrungen einbringen.

Was bewegt mich, für das Amt des Landesvorsitzenden zu kandidieren?

Als Sozialverband engagieren wir uns für Solidarität und gesellschaftliche Teilhabe und wenden uns gegen soziale Kälte und Ungerechtigkeiten in unserem Land - gegen die Ausgrenzung und Benachteiligung von Menschen.

Wir setzen uns aktiv dafür ein, soziale Missstände zu beseitigen. Unsere erfolgreichen Kampagnen in Schleswig-Holstein, von der Verankerung der Kinderrechte in der Landesverfassung, über die mit dem Mieterbund gemeinsam getragene Kampagne für bezahlbaren Wohnraum bis zur aktuellen Kampagne zur Verbesserung der Pflege, legen immer völlig zurecht den Finger in große gesellschaftliche Wunden.

Ich möchte vier kritische Themen ansprechen:

1. Es ist für mich befremdlich und nicht hinnehmbar, dass die Schere zwischen Arm und Reich seit Jahren immer weiter auseinandergeht und dass bei uns in Deutschland - einem der reichsten Länder der Welt - immer mehr Menschen auf existenzsichernde Hilfen angewiesen sind.

Wenige haben viel, viele haben wenig!

Stark wachsende Ungleichheit ist in eklatanter Weise sozial ungerecht. Sie verbaut Menschen Lebenschancen! Und sie beschneidet in drastischer Weise die Teilnahme und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Aber es gibt auch andere Folgen. Rechtspopulistische und antieuropäische Tendenzen etwa in Teilen unserer Gesellschaft sind Ausdruck dessen, dass sich ein wachsender Teil der Bevölkerung zunehmend aus der Gesellschaft ausgegrenzt und nicht ausreichend mitgenommen fühlt - unter anderem deshalb, weil die wachsende Ungleichheit sie zu den Verlierern gemacht hat.

All diese Entwicklungen unterliegen keinem Naturgesetz. Sie sind die Folge politischer Entscheidungen. Wer etwa den Spitzensteuersatz mehrfach absenkt und steuerliche Erleichterungen für Vermögende beschließt, wie bei uns in Deutschland mehrfach geschehen, darf sich nicht über eine zurecht als ungerecht empfundene Umverteilung von unten nach oben wundern.

Man muss unwillkürlich an Bertold Brecht denken: „Reicher Mann und armer Mann standen da und sahn sich an. Und der Arme sagte bleich: Wär‘ ich nicht arm, wärst Du nicht reich.“

Jetzt, liebe Freund*innen, ist die Zeit, verteilungspolitische Stellschrauben (Stichwort: Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, Transaktionssteuer... ) nach dem Leitsatz „starke Schultern tragen mehr als schwache“ korrigierend zu bedienen und auch weitere Instrumente zu schaffen, um die wachsende soziale Spaltung in Deutschland zu beenden. Ob Löhne, Steuern oder Mieten - es gibt zahlreiche Ansatzpunkte, das Leben für alle gerechter zu machen.

2. Für mich ist es skandalös, dass immer mehr Menschen, vor allem Rentner*innen, von Altersarmut betroffen sind, weil die Einkünfte und die Rente für viele von ihnen einfach nicht mehr für ein würdevolles und selbstbestimmtes Leben reicht.

Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung wird ohne Umdenken in der Alterssicherungspolitik im Jahr 2036 jeder fünfte Neurentner von Altersarmut bedroht sein. Immer deutlicher kündigt sich damit ein gesellschaftlicher Konflikt an, der soziale Sprengkraft in sich trägt.

Vor allem die Deregulierungen auf dem Arbeitsmarkt, die alle Türen für Niedriglöhne und prekäre Beschäftigungen öffneten, sowie die vielen „Rentenreformen“ seit Anfang der 1990er Jahre haben deutliche Folgen: Unser gegenwärtiges Alterssicherungssystem ist nicht in der Lage, hinreichend vor Altersarmut zu schützen.

Nullrunden und Minianpassungen der letzten Jahre führten zu einem noch nie dagewesenen Wertverfall der Renten und zu einer deutlichen Absenkung des Rentenniveaus. Weitere Belastungen für die Versicherten entstanden durch Einführung von Steuer- und Krankenkassenabgaben.

Die Situation ist für die Betroffenen äußerst belastend. Und sie wird für künftige Generationen noch belastender. Selbst aufstockende Leistungen der Grundsicherung lassen nur ein sehr bescheiden geführtes und entbehrungsreiches Leben zu. Viele scheuen den Gang zum Sozialamt, weil die prekäre finanzielle Situation für sie makelbehaftet ist. Oft beginnt hier eine gesellschaftliche Isolierung. Nicht wenige scheuen den Weg zum Sozialamt auch deshalb, weil sie befürchten, ihr kleines Haus verkaufen bzw. ihre Wohnung verlassen zu müssen. Am größten aber ist wohl ihre (weitgehend unberechtigte) Sorge, dass die Kinder zum Unterhalt herangezogen werden.

Liebe Mitstreiter*innen,
unsere Geduld mit den Regierungen und den Regierenden im Land und im Bund hat ein Ende. Es ist Zeit, den Irrweg zu beenden! Wir haben keinen Mangel an Erkenntnissen und Prognosen - der Politik fehlt es allein am Veränderungswillen und am Veränderungsmut! Klar: Natürlich werden wir sehr genau hinschauen, ob durch die Einführung der Grundrente positive Effekte erzielt werden. Aber unsere Skepsis vorerst bleibt!

3. Für mich ist es ein Armutszeugnis unseres Sozialstaats, dass im Gesundheitswesen und in der Pflege das Renditedenken die Oberhand gewonnen hat und sogar Dividenden aus den Krankenkassenbeiträgen der Solidargemeinschaft generiert werden. Alles zu Lasten der menschlichen Zuwendung, die immer mehr als reiner Kostenfaktor verstanden wird.

Das muss endlich aufhören!

Die Öffnung zum Markt und zur Privatisierung darf nicht weiter expandieren. Wir verkaufen ja auch nicht unsere Feuerwehr an Investoren, nur weil die Vorhaltekosten für den Staat zu teuer sind oder weil es länger nicht gebrannt hat. Im Gesundheitsbereich und in der Pflege muss das Erwirtschaftete im System bleiben, statt an der Börse zu landen! Und: Wie lange noch müssen wir eigentlich warten, bis es endlich zur Einführung der solidarischen Bürgerversicherung kommt?

Auch hier gilt: Unsere Geduld ist am Ende und ist erschöpft. Die Politik muss endlich handeln!

4. Für mich ist es völlig inakzeptabel, dass Inklusion und Barrierefreiheit in der Lebenswirklichkeit für Menschen mit Behinderungen kaum etwas anderes als leere Worte sind. Nach wie vor werden Häuser und Gebäude errichtet und Straßen und Wege gebaut, die weit entfernt davon sind, barrierefrei zu sein. Dabei geht es natürlich im gesellschaftlichen Leben auch um Barrierefreiheit in den Köpfen, in der Kommunikation, in allen gesellschaftlichen Belangen und in der Partizipation von Menschen jeden Alters, jeder religiösen, gesellschaftlichen und kulturellen Herkunft!

Es sieht insgesamt nicht gut aus! Die öffentlich geführten Debatten und verschiedenen Gesetzesinitiativen bei uns in Deutschland nach dem Wirksamwerden der UN-Behindertenrechtskonvention scheinen ins Leere zu gehen.

Auch im eigenen Bundesland muss man konstatieren, dass Einbindung und Beteiligung von Menschen mit Handicaps und Experten in eigener Sache Fremdwörter sind. Unsere Forderung nach Einrichtung von Beiräten für Menschen mit Behinderung oder Arbeitsgemeinschaften in allen Landkreisen und Städten, um den Austausch und die Abstimmung mit den Verantwortlichen zu fördern, ist man nicht gefolgt. Dabei ergeben sich mit Umsetzung des neuen Bundesteilhabegesetzes jetzt viele Notwendigkeiten, aber auch gute Möglichkeiten, diese Chance zu ergreifen!

Und deshalb gilt: Wir hören nicht auf zu insistieren - auch wenn es manche als ärgerliches Rumnerven verstehen!

Liebe Freund*innen,
wenn ich Ihr und Euer Vertrauen erhalte, werde ich mich dafür einsetzen, dass sich der SoVD in Schleswig-Holstein weiterhin unverkennbar als Anwalt an der Seite von sozial benachteiligten Menschen engagiert und ihnen eine kraftvolle Stimme gibt!

Die massiven sozialen Einschnitte in den letzten Jahren verpflichten uns aber auch zu einer guten und qualifizierten Beratungsarbeit für unsere Mitglieder in den 15 Sozialberatungszentren und in den Bezirksschutzsekretariaten. Unsere Zahlen - das darf ich hier anmerken - sprechen für sich. Im vergangenen Jahr hat der SoVD Schleswig-Holstein rund 16.000 Verfahren geführt (es ging um Unterstützung bei Anträgen, Widersprüchen und sozialgerichtlichen Klagen) und dabei mehr als 8 Millionen Euro für seine Mitglieder erwirken und erstreiten können. Hier gilt es auch einmal Dank zu sagen an unsere hauptamtlichen Mitarbeiter*innen des SoVD in SH für ihr Engagement und für ihren erfolgreichen Einsatz.

Im besten Sinne also, das möchte ich betonen, wollen wir als Lobby für Menschen, die sich gesellschaftlich auf der Verliererseite sehen, sich nicht gerecht behandelt und nicht mehr mitgenommen fühlen, eintreten. Gemeinsam mit Ihnen und Euch werde ich als neuer Landesvorsitzender noch stärker als bisher den SoVD in Schleswig-Holstein in diesem Sinne öffentlich positionieren.

Für mich kann das aber nur gelingen, wenn unsere Kampagnen und Veranstaltungen, unsere Informations- und Öffentlichkeitsarbeit - unsere gesamten Aktivitäten im Verband - breiter und aktueller auf allen Ebenen abgestimmt und vertreten werden.

Mehr Einbindung, mehr Kommunikation und mehr Beteiligung sind für mich die Schlüssel für eine größere Identifikation der ehren- und hauptamtlich Tätigen mit unserem Verband und damit zugleich für noch mehr Wirkungskraft nach außen.

Mehr Debattenkultur, mehr Räume für den verbandlichen Austausch, mehr Transparenz bei Entscheidungen und mehr innerverbandliche Demokratie - das tut uns gut und dafür werde ich mich aktiv einsetzen.