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„Wir tauchen nirgendwo auf“

Aktuelles Pflege Behinderung Armut

In 22 Jahren hat Christiane Plewka aus Heide nicht einen Tag Urlaub gehabt. Seit der Geburt Ihres Sohnes Joost-Max ist sie jeden Tag für ihn da. Immer. 24 Stunden lang. Denn Joost-Max ist schwerbehindert, hat den höchsten Pflegegrad und benötigt eine Betreuung rund um die Uhr.

"Wir tauchen nirgendwo auf!"

„Das mache ich auch gern, natürlich kümmere ich mich um meinen Sohn“, so die 54-Jährige. „Was ich aber einfach nicht mehr hinnehmen will: Mein sozialer Status könnte schlechter nicht sein. Denn ich muss "Hartz IV" beziehen, um meinen Sohn betreuen zu können.“

So ist es tatsächlich. Weil sich Christiane Plewka in Vollzeit um ihren Sohn kümmert, fällt sie durch diverse soziale Raster. Arbeitslosengeld I? Gibt es nicht, denn sie steht dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. Erwerbsminderungsrente? Gibt es nicht, ihre Gesundheit würde es zulassen, einen Job auszuüben. Natürlich gibt es jeden Monat Pflegegeld, und ein geringer Betrag landet regelmäßig auf Christiane Plewkas Rentenkonto. „Aber trotzdem weiß ich schon jetzt, dass ich im Alter einmal auf Grundsicherung angewiesen sein werde. Das ist nicht gerecht. Denn durch meine Arbeit kann der Staat mindestens drei Pflegevollzeitkräfte einsparen, die sich ansonsten um meinen Sohn kümmern müssten.“

Mit diesem Statement rennt sie bei Hans-Otto-Umlandt, dem Kreisvorsitzenden des SoVD in Dithmarschen, offene Türen ein. „Es kann nicht sein, dass man nach vielen Jahren harter Arbeit, in denen man einen Angehörigen zu Hause gepflegt hat, mit "Hartz IV" oder Grundsicherung abgespeist wird. Wer eine für die Gesellschaft wichtige Aufgabe wie die Pflege in der Familie übernimmt, sollte dafür vom Staat entlohnt werden. So wie eine Vollzeitkraft, die das hauptberuflich macht.“

Der Sozialverband fordert eine solche staatliche Zahlung schon lange. „Wir brauchen eine Lohnersatzleistung für die Pflege“, so Alfred Bornhalm, der SoVD-Landesvorsitzende in Schleswig-Holstein. „Beim Elterngeld gibt es so etwas bereits. Warum soll die Kindererziehung sozialrechtlich bessergestellt sein als die Pflege von Angehörigen?“

Im europäischen Ausland ist man in dieser Frage bereits weiter. Zum Beispiel im österreichischen Burgenland. Dort können sich Angehörige von Pflegebedürftigen bei einer staatlichen Stelle anstellen lassen – und bekommen für die Pflege in Vollzeit maximal 1700 Euro netto im Monat ausgezahlt. Inklusive Anspruch auf Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

Christiane Plewka aus Dithmarschen sieht die Politik in der Pflicht. „Es geht ja nicht nur um mich. Wie viele Familie kümmern sich Tag für Tag um ein behindertes Kind oder die kranke Oma – und müssen dafür ein Leben auf "Hartz IV" in Kauf nehmen? Niemand beachtet uns, wir tauchen nirgendwo auf.“

Mittlerweile hat die Familie eine Petition gestartet: Sie können diese direkt online unterstützen und so dafür sorgen, dass pflegende Angehörige in Deutschland insbesondere finanziell besser gestellt werden. Hier geht's zur Petition.


Kommentare (13)

  • user
    Selbstbestimmt Autistisch2019 e.V.
    am 21.07.2022

    Als ich vor ein paar Jahren Selbstbestimmt Autistisch 2019 e.V. Gegründet habe, war der Hintergrund die Selbstbetroffenheit.

    Jeden Tag spreche ich mit betroffen Menschen, Angehörigen und vor allem Eltern, Behinderter Kindern aus dem ganzen Land.

    Die Pflege wird noch immer gesehen als etwas ehrenvolles, das man eben macht wenn Oma nicht mehr kann…man versucht ihr/ihm die letzte Zeit ( Max 2 Jahre laut Statistik) so gut es geht zu gestalten. Aber so ist das nicht, ich pflege inzwischen 25 Jahre!

    Die Pflege eines Kindes, heißt Lebenslang da sein und man will das auch. Die Hürden der Bürokratie sind eine Katastrophe.

    Wenn man denn überhaupt weiß was man tun kann. Die Diskriminierende Art wie man behandelt wird, unglaublich. Bedarfe ermitteln , förmlich betteln, ständig latent unterstellt zu bekommen das man was möchte das einem nicht zusteht das ist Pflege in Deutschland. Pflegende Angehörige bekommen nichts, gar nichts.

    Milliarden werden in Einrichtungen, Pflegedienste gepumpt. ALG2 muss beantragt werden als pflegender Angehöriger weil es nicht anders geht.

    Pflegende Angehörige müssen endlich ein Gehalt bekommen.

    Die Pflege ist hoch professionell, denn ein Angehöriger setzt sich mit der Krankheit/ Behinderung auseinander und weiß alles zum Thema. Ja es gibt schwarze Schafe, aber die gibt es ebenso im Klinischen Bereich , in der Pflege, in Pflegediensten ec. Die Pflege ist in unserem Land ist völlig am Ende. Wenn nicht endlich die Häusliche Pflege gewürdigt wird, dann werden viele, viele Angehörige nicht mehr können. Sie brauchen auch mal Luft, müssen durchatmen können. Es muss doch klar sein, das genug Geld da ist, das 365 Tage im Jahr 24 Stunden lang immer jemand da sein kann. Das man Hilfsmittel unkompliziert bekommt . Was denken sich die Mitarbeiter dabei einem unentwegt das Gefühl zu vermitteln was wollen sie, denn, das ist überversorgt usw. Anstatt, das man sagt hier gibt es einen Angehörigen der pflegt, wir werden sie unterstützen ob von Krankenkassen, der Eingliederungshilfe, den Rententrägern, der Arbeitsagentur, ec muss doch das Gefühl kommen : „es ist wunderbar das sie das tun“. Wenn sie etwas brauchen melden sie sich. Dann helfen wir unkompliziert.

    Wenn man weiter pflegende Angehörige so verheizt, wird es für viele Menschen zu Katastrophen kommen.

    Wo sollen all die Gepflegten hin???

    Auch die Pflege in Einrichtungen, ist kaum auszuhalten und will doch niemand für sein Kind bzw. den Angehörigen.

    Satt, sauber, trocken.

    Aber selbst das ist nicht überall gegeben.

    Also setzt auf Angehörige , würdigt ihre Arbeit. Viele würden es tun wenn sie Geld bekommen würden denn leben müssen alle. Du kannst nun mal nicht ohne Geld leben, da geben die Menschen Oma ins Heim denn wie sollen sie ihre Miete bezahlen?

    Der Text könnte noch Seitenweise so weiter gehen. Es muss endlich jemand aufstehen und aufl den Tisch klopfen, das was passiert .

    Die Menschen, die das seit Jahren leisten, leisten einen extrem wichtigen Beitrag in der Gesellschaft.

  • user
    Petra
    am 16.07.2022

    Ich kann mich diesem Aufruf nur anschließen! Nachdem ich meine beiden Kinder über 30 Jahre lang umsorgt und unterstützt habe (eines der Kinder konnte aufgrund einer Behinderung die Ausbildung erst mit dem 30. Lebensjahr beenden) und immer nur in Teilzeit gearbeitet habe bzw. obendrauf noch einen Minijob, kümmere ich mich nun seit einigen Jahren um meine Eltern, Menschen mit Behinderung, und unterstütze sie insbesondere bei Arzt- und Krankenhausbesuchen, die leider regelmäßig anfallen. Ich habe also weiterhin meine beiden Arbeitsstellen und lebe den Spagat zwischen Arbeit und Eltern.

    So manches Mal wünsche ich mir Oma- und Opakrankenbegleittage, die dann nicht von meinem Urlaubskonto abgehen, da ich meinen Urlaub so dringend zur Erholung benötige!

    Das Pflegegeld wird in der Regel für Dinge eingesetzt, bei der mir die Antragstellung einfach zu aufwändig ist.

    Teure Anschaffungen wie der behindertengerechte Badumbau verschlucken dann auch gern schon einmal den Sommerurlaub von der Planung über die Antragstellungen bis hin zur Bauausführung! Und dann reicht das beantragte Geld leider wieder einmal nicht aus, weil sich während des Umbaus noch weitere Probleme ergeben haben. Da hilft nur Durchhalten!

  • user
    Maria Zingsem
    am 23.06.2022

    Pflegende Angehörige werden ausgenutzt, ich stimme allen bereits gemachten Kommentaren zu!!!

    Allein für die Bewältigung der Bürokratie braucht es bei uns so viele Stunden, für die es keinerlei finanziellen Ausgleich gibt

    Ist man privat versichert und beihilfeberechtigt, übersteigen die bürokratischen Anforderungen oft die eigenen Möglichkeiten, sodass man Hilfsmittel und Leistungen selbst bezahlt - so lange das geht, weil man die Zeit und Kraft für die Pflege braucht. Hier wird wieder darauf gesetzt, dass liebende Angehörige (meistens Frauen) zu unbezahlter Care-Arbeit bereit sind. Das muss sich ändern!!!

    Wir können nicht akzeptieren, dass aktuelle politische und wirtschaftliche Krisen wieder dazu führen werden, dass hier nichts passiert.

    • user
      Specht
      am 23.06.2022

      Ja, genauso habe ich es erlebt. Und die bürokratischen Anforderungen übersteigen nicht nur die eigenen Möglichkeiten, sondern oft auch die der sich nie zuständig fühlenden Stellen.

  • user
    Specht
    am 22.06.2022

    Ich habe meinen Mann bei höchster Pflegestufe ein Jahr lang bis zu seinem Tod gepflegt. Wir haben beide als Studienräte bis dahin immer gut verdient. Aber die von allen Seiten himmelschreienden Zustände, in die wir von heute auf morgen gefallen sind, und dieses absolute Alleingelassenwerden vom Staat bzw von Pflegediensten haben mich zusätzlich zu der unsäglichen Trauer derart schockiert, dass es mich an den Rand meiner körperlichen, mentalen und auch finanziellen Kräfte gebracht hat. Ich merke immer wieder, wie Menschen, die damit noch nicht selbst konfrontiert worden sind, ungläubig schauen, wenn ich davon erzähle, wie ich förmlich in hoffnungslosen Anträgen erstickt bin, für die ich nur nachts mal Zeit hatte, und wie ich an machen Tagen froh war, in Ruhe auf Toilette zu gehen. Ich war trotz guter finanzieller Aufstellung schon nach einem Jahr pleite und hätte beinahe meinen Job schmeißen müssen, wenn mein unbezahlter Urlaub, den ich mir natürlich für die Pflege zu Hause genommen habe, zu Ende gegangen wäre. Ich bereue nichts, es war eine unglaublich wertvolle Zeit für mich und meinen Mann und ich würde es wieder so tun. Und das ist genau das, was der Staat schamlos ausnutzt: liebende Angehörige. Ich habe in derlei Hinsicht für immer das Vertrauen verloren. Trotzdem habe ich unterschrieben, weil nichts tun keine Option ist.

  • user
    G.Schulze
    am 22.06.2022

    Ich fordere von der Politik das wir als pflegende Anghörige endlich würdig behandelt werden.

    Lohn -- Rente -- Urlaub --- Man ist 24 /7 für die Person da, meine Mutter hat Pflegegrad 4 -- ist hochgeradig Sehbehindert --- zu 100% Schwerbeschädigt mit Merkzeichen B, H , aG , G , RF.

    Als Dank der Geselschaft, der ich erhbliche Kosten spare -- als meist ausgebeutet nicht bezahlte Arbeitskraft --- erwartet mich ein Lebensabend in Altersarmut .

  • user
    Brigitte Schiller
    am 22.06.2022

    Ein Jahr vor meinem Renteneintrittsalters ist mein Mann an Demenz erkrankt,ich pflege ihn seit fast 4 Jahren zu Hause

    Ich bekomme zwar meine Rente,leider nicht sehr hoch,ich habe im sozialen Bereich gearbeitet,was mich aber umtreibt ist,wenn ich meinen Mann zur Pflege in eine Einrichtung geben muss,bleibt mir nur die Grundsicherung !!

  • user
    Peter Hoch
    am 20.06.2022

    Es ist gut, dass sich viele für das Thema Pflege - Entlohnung einsetzten, eine Aktion sollte aber von allen Sozialverbänden gestartet werden. Warum? Eine GEWALTIGE MENGE VON MENSCHEN KLOPFT BEI DER POLITIK AN, und nicht EINZELNE AKTIONEN. Als pflegender Angehöriger bin ich VERARMT und arbeite mit 76 Jahren noch als Journalist arbeiten muss (Insgesamt 80-90 Stunden in der Woche). Ich lehne eine Aufbesserung durch Sozialhilfe ab. Dazu bin ich noch in der Sucht- & Suizidprävention tätig, da ich Betroffener bin und das Thema Sucht in der Pflege, mein Thema ist.

    Insgesamt, sollte sich der "STAAT" SEINER seiner Verantwortung stellen und REDEN IST GUT; ABER ZAHLEN WOLLEN WIR NIX.

    Dazu kommt, dass meine Frau, mich nicht bei Pflegekasse angemeldet hat und so keine Rentenpunkte dazu bekommen habe. Für die sonstige Pflege bin ich angemeldet. Ich stehe vor der Entscheidung, ob ich die Pflege auf höre und nur noch als Journalist arbeite. Ich (wieder Ich) bin mit meiner Kraft an Ende und habe eine GEWISSENSENTSCHEIDUNG DIE SEHR SCHWER IST.

  • user
    Jens
    am 17.05.2022

    Die Pflege sollte wie z. B. in Dänemark in staatlicher bzw. kommunaler Hand liegen und für alle sichergestellt werden.

  • user
    Bente
    am 16.05.2022

    Es ist empörend und demütigend dass eine solche schwere und wichtige Arbeit nicht gewürdigt wird! Wie kann ein sogenannter Sozialstaat die Pflegenden so alleine lassen???

    • user
      Witt
      am 22.06.2022

      Ja das ist die traurige Wahrheit!

      Auch wir pflegen unseren Sohn zu Hause.

      100% Behinderung

      Dazu schwer herzkrank

      24/7 für null

      Es ist beschämend. Es ist aus meiner Sicht auch diskriminierend ! Da wir ja eine Leistung erbringen .

  • user
    Insa Plewka
    am 16.05.2022

    Ein so enorm wichtiges Thema und es ist längst überfällig, dass in sich in dem Bereich grundlegend etwas ändert. Pflegende Angehörige leben oftmals am Existenzminimum, was nicht sein darf.

  • user
    Angela Escayola
    am 16.05.2022

    Es ist überfällig das sich der Status von pflegenden Angehörigen endlich ändert und die Leistung anerkannt wird vom Staat.

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